Sterben die Dialekte aus?
Sterben die Dialekte aus?
Vorträge am Interdisziplinären Zentrum für Dialektforschung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg,
22.10.–10.12.2007
Herausgegeben von Horst Haider Munske
Horst Haider Munske (Erlangen)
Vorwort [Volltext]
Michael Mann (Erlangen)
Hinweise zur technischen Einrichtung und zur Benutzung
[Volltext]
Alexandra Lenz (Marburg)
Vom Dialekt zur regionalen Umgangssprache – Zur Vielfalt regionaler Sprechweisen
[Abstract] [Volltext]
Walter Haas (Fribourg)
Der Blick vom schiefen Turm
[Abstract] [Volltext]
Steffen Arzberger (Neumarkt i.d. Opf.)
Dialekt in der Schule – Freund oder Feind?
[Abstract] [Volltext]
Anthony Rowley (München)
Eine Reise in die Zeit der Minnesänger. Von den Sprachinseln der Zimbern und der Fersentaler
[Abstract] [Volltext]
Alfred Klepsch (Bayreuth)
Aussterben und Fortleben des Jiddischen in Franken
[Abstract] [Volltext]
Nils Århammar (Flensburg)
Das Nordfriesische, eine bedrohte Minderheitensprache in zehn Dialekten: eine Bestandsaufnahme
[Abstract] [Volltext]
Otto Jastrow (Tallinn)
Das Spannungsfeld von Hochsprache und Dialekt im arabischen Raum
[Abstract] [Volltext]
Ingrid Neumann-Holzschuh (Regensburg)
Sprachentod und Sprachwechsel in Louisiana: Cadien und Isleño zu Beginn des 21. Jahrhunderts
[Abstract] [Volltext]
Veröffentlicht im Juli 2008
Abstracts
Alexandra Lenz (Marburg): Vom Dialekt zur regionalen Umgangssprache – Zur Vielfalt regionaler Sprechweisen
In diesem Beitrag soll es um die Frage gehen, welche anderen räumlich gebundenen Varietäten „oberhalb“ der Dialekte im deutschen Sprachraum vorkommen und den Sprachalltag vieler Sprecher kennzeichnen. Je nach Region koexistieren diese anderen Varietäten neben den Dialekten oder aber sie sind – falls die Dialekte „ausgestorben“ sind – bereits an die Stelle der alten Dialekte getreten. Im Fokus steht somit die „Regionalsprache“, verstanden als die Gesamtheit räumlich gebundener Sprache unterhalb der normierten Standardsprache, welche von den Sprechern selbst als „Hochdeutsch“, „Hochsprache“ oder „Schriftsprache“ bezeichnet wird.
Walter Haas (Fribourg): Der Blick vom schiefen Turm
Besonders an der Sprachsituation der deutschen Schweiz sind nicht ihre Dialekte an sich, die es im alten Europa überall gibt, auffällig ist heutzutage der allgemeine Gebrauch der traditionellen Dialekte von allen Schichten der Bevölkerung in fast allen mündlichen Situationen. Diese Situation wird deshalb als ein Symbol der bürgerlichen Gleichheit verstanden. Der Dialekt bietet darüber hinaus die offenbar erwünschte Möglichkeit, Sprecher zu lokalisieren. Eine solche Sprachsituation ist historisch gewachsen und auf vielerlei Voraussetzungen angewiesen, z.B. auf die Kleinheit des Sprachgebiets: Sprachsituationen können nicht exportiert werden. Damit die Dialekte als allgemeines Kommunikationsinstrument weiter funktionieren können, sind sie auf die Bereicherung durch standardsprachliche Mittel angewiesen, Dialektpurismus ist für die Mundarten als Sprachsysteme höchst problematisch. Soziolinguistisch problematisch sind aber auch einige der im Gefolge der PISA-Studien aufgetauchten Ideen, welche die funktionierenden Regeln der Aufgabenteilung zwischen Dialekten und Standardsprache gefährden könnten.
Steffen Arzberger (Neumarkt i.d. Opf.): Dialekt in der Schule – Freund oder Feind?
Wie steht es mit der Sicht der Mundart in der Schule in Bayern – von offizieller Seite, von seiten der Lehrer, der Schüler, der Eltern? Ist der Dialekt der Schule Freund oder Feind? Mit dieser Frage setzt sich der Vortrag auseinander. Dabei wird unterschieden zwischen dem Dialekt als Unterrichtsgegenstand, als Sprache der Schüler und als Sprache der Lehrer. Die angestellten Betrachtungen ergeben, dass sich im Verhältnis zwischen Mundart und Schule ein Wandel vollzogen hat. Das Thema Mundart ist in allen Schularten im Lehrplan verankert. Die Bildungspolitik des Kultusministeriums zeigt, dass ihm die Behandlung des Themas ein Anliegen ist. Man sieht den Dialekt als Sprache der Schüler nicht mehr als die wichtigste Fehlerquelle beim Erlernen der Standardsprache an, er wird nicht mehr als defizitär betrachtet. Ein wichtiges Ziel des Deutschunterrichts ist vielmehr eine situationsbezogen passend angewandte innere Mehrsprachigkeit, nach dem Vorbild der Lehrer. Dialekt ist in der Schule also nicht „Feind“, sondern Partner beim Standard- und Fremdsprachenerwerb sowie Schützling als Eigenwert im Rahmen der Heimaterziehung. Feind ist der Dialekt dagegen zuhause, in den Augen vieler Eltern. Somit kommt der Schule die Aufgabe zu, den Schülern den Wert der Mundart zu vermitteln. Dafür, wie dies durch unterschiedliche Vorgehensweisen erfolgen kann, werden abschließend Beispiele aus der Schulpraxis gegeben.
Anthony Rowley (München): Eine Reise in die Zeit der Minnesänger. Von den Sprachinseln der Zimbern und der Fersentaler
In Norditalien gibt es eine Reihe von Exklaven, in denen altertümliche deutsche Dialekte gesprochen werden. Der Vortrag hat die Gestalt einer Rundreise durch die Sprachinseln des Fersentals und der sogenannten Zimbern in Oberitalien mit kurzen Hörbeispielen und Landschaftsbildern. Neben der Altertümlichkeit wird der Einfluss der anderssprachigen Umgebung als wesentliches Merkmal der Sprachinseldialekte herausgestellt. Die Abgeschiedenheit, die zum langen Erhalt der Sprachinseln beitrug, ist im 20. Jahrhundert dem Anschluss an die italienische Umgebung gewichen. Die sprachlichen Auswirkungen des sozialen Wandels werden an einigen Beispielen veranschaulicht.
Alfred Klepsch (Bayreuth): Aussterben und Fortleben des Jiddischen in Franken
In Franken wurde, wie andernorts in Deutschland, bis ins beginnende 20. Jh. ein Dialekt des Westjiddischen gesprochen. Das geschriebene Westjiddische war bis zum Ende des 18. Jh. eine Literatursprache, die eine überregionale Konvention besaß. Über das gesprochene Westjiddische ist jedoch wenig bekannt, da es als dialektaler Substandard lediglich mündlich verwendet wurde. Aus Franken, insbesondere Mittelfranken gibt es jedoch noch schriftliche Quellen zu diesem Dialekt, die in die Gattung der Mundartdichtung zu stellen sind. Am bekanntesten ist die sog. „Fürther Megille“, das Purimspiel von Josef Herz „Esther oder die belohnte Tugend“. Anhand des hebräisch gedruckten Texts (Fürth 1828) sowie seiner Übertragung in lateinische Schrift (Fürth 1871) läßt sich das Lautsystem dieser Mundart rekonstruieren. Es stimmt mit dem anderer schriftlicher Quellen zur fränkisch-jiddischen Mundart aus dem frühen 19. Jh. überein. Rezent gibt es in Form der Viehhändlersprache und der Dorf-Geheimsprache Lachoudisch (Schopfloch) sogar noch die Möglichkeit, die Lautung des aus dem Hebräischen entlehnten Sonderwortschatzes direkt zu erheben und mit den schriftlichen Quellen zu vergleichen.
Nils Århammar (Flensburg): Das Nordfriesische, eine bedrohte Minderheitensprache in zehn Dialekten: eine Bestandsaufnahme
Nach einem kurzen Abriss der Geschichte und Typologie des Friesischen wird die Situation des vollständig ausgebauten Westfriesischen, das trotz seiner 400.000 Sprecher als Umgangssprache auf längere Sicht als bedroht zu gelten hat, etwas ausführlicher behandelt und der bereits am Ende des Mittelalters einsetzende Niedergang des Ostfriesischen mit einem letzten kleinen Sprachrest im Oldenburger Saterland skizziert. – Das eigentliche Thema des Vortrags, der siedlungsgeschichtlich bedingte Dialektkomplex des Insel- und Festlandsnordfriesischen, wird zunächst in seiner historisch-sprachsoziologischen Entwicklung behandelt. Der Sprachwechsel Friesisch – Niederdeutsch nimmt seinen Anfang im 17. Jh. im Süden und breitet sich (bei zunächst noch stabiler Diglossie mit hochdeutscher Amts- und Schriftsprache) seit dem 19. Jh. auf dem Festland, den Halligen und Föhr-Ost unaufhaltsam nach dem Norden aus. Im Laufe des 20. Jh.s verdrängt dann, zuerst auf den Badeinseln, das Hochdeutsche zunehmend sowohl das Friesische als auch das Niederdeutsche. Außer im Westteil der Insel Föhr kann der intergenerationelle friesisch-deutsche Sprachwechsel als im Großen und Ganzen abgeschlossen gelten. Daran können weder die seit den 70er Jahren intensivierte schulische und institutionelle Förderung des Friesischen, noch die von den sprachaktivistischen Initiativen und Aktivitäten einer kleinen quasisektiererischen Gruppierung um die ‚Friisk Foriining‘ (früher ‚Foriining for nationale Frashe‘) etwas sprachsoziologisch Relevantes ändern, am allerwenigsten mit dem i. J. 2004 im Kieler Landtag durchgebrachten ‚Gesetz zur Förderung des Friesischen im öffentlichen Raum‘. Das Nordfriesische hat wie alle Dialekte in unserer heutigen Gesellschaft seine (große) Zeit gehabt. Damit sollte man sich allmählich besser abfinden und sich auf die Zeit post quem einstellen. Denn an Aufgaben für die nordfriesische Sprach- und Kulturarbeit wird es auch künftig nicht mangeln, am wenigsten für die Sprachwissenschaft, die jedoch bei der gegenwärtigen, vom Friesenrat gesteuerten Konzentration der von Bund und Land bereitgestellten Mittel auf den (aussichtslosen) Spracherhalt zu kurz zu kommen droht.
Otto Jastrow (Tallinn): Das Spannungsfeld von Hochsprache und Dialekt im arabischen Raum
In der arabischen Welt herrscht eine sehr alte und stabile Situation der Diglossie, d.h. des funktional geregelten Nebeneinanders von zwei historischen Entwicklungsstufen der gleichen Sprache. Das Moderne Hocharabisch ist eine konservierte Form des Klassischen Arabisch. Es genießt hohes Ansehen und dient als Schriftsprache, wird aber nicht muttersprachlich erworben, sondern durch Unterricht erlernt. Im mündlichen und informellen Bereich werden die jeweiligen Dialekte verwendet; sie sind die natürliche Muttersprache der Bevölkerung, genießen jedoch keinerlei Ansehen. Da die Hochsprache in ihrer äußeren Form nicht verändert werden darf, aber auch die Dialekte sich nicht zu modernen geschriebenen Volkssprachen entwickeln dürfen, scheint die Diglossiesituation für alle Zeit festgeschrieben. Dadurch ist das Überleben der Dialekte gesichert, obgleich sie sich untereinander stärker annähern. Die Geringschätzung der Dialekte in der arabischen Welt bedingt auch eine Ablehnung der Dialektologie. Deshalb war die arabische Dialektologie immer eine Domäne westlicher Forscher, doch nun deutet sich auch im Westen ihr Niedergang an.
Ingrid Neumann-Holzschuh (Regensburg): Sprachentod und Sprachwechsel in Louisiana: Cadien und Isleño zu Beginn des 21. Jahrhunderts
Einführende Bemerkung des Herausgebers (anstelle eines Abstracts):
Der Vortrag, den Ingrid Neumann-Holzschuh am 10. Dezember 2007 in Erlangen gehalten hat, stellt eine aktualisierte und gekürzte Fassung des folgenden Beitrags dar:
Ingrid Neumann-Holzschuh (2005): „The Survival of the Fittest … Französisch, Spanisch und Englisch in Louisiana“. In: Dahmen, Wolfgang/Holtus, Günter/Kramer, Johannes/Metzeltin, Michael/Schweickard, Wolfgang und Winkelmann, Otto (Hrsg.): Englisch und Romanisch. Romanistisches Kolloquium XVIII.Tübingen (= TBL 486): 267-295.
Die Verfasserin hat uns freundlicherweise diese ausführliche Fassung für die Internet-Publikation zur Verfügung gestellt und sie aktualisiert und ergänzt (siehe Volltext)